Susanne fährt das Auto in die Garage und knallt das Garagentor zu. Sie geht mit beschleunigten Schritten ins Haus und sieht die Schultasche ihres Sohnes mitten im Flur liegen. Stinksauer brüllt sie nach ihrem Sohn…
Was ist geschehen? Susanne hat ihre Schwiegermutter im Krankenhaus besucht. Sie ist mit der älteren Dame im Park des Krankenhauses spazieren gegangen. Susanne hat gesehen, dass im Bademantel ihrer Schwiegermutter ein Loch ist. Als Susanne ihre Schwiegermutter darauf anspricht, faucht diese sie an: „Kümmere Dich um Deine eigenen Angelegenheiten!“
Vergleichbare Situationen sind im Leben einer Frau keine Seltenheit. Susanne hat es gut gemeint. Ihre Schwiegermutter war hilflos und hat in ihrer Hilflosigkeit Susanne angefaucht.
Doch warum war Susanne so geladen? Ganz einfach: Susanne hatte durch die Worte ihrer Schwiegermutter das Empfinden, etwas falsch gemacht zu haben. Das hat dazu geführt, dass sie sich schuldig gefühlt hat.
Susanne ist kein Einzelfall. Erkennst Du Dich in Susanne? Ich schon. So wie ihr ging es auch mir. Irgendwann – ich weiß nicht mehr wann – hat mich die Wut gepackt. Ich hatte genug davon, mich schuldig zu fühlen. Also tauchte ich in meine Tiefe, um Ursachen für Schuldgefühle aufzuspüren.
Ich beschreibe Dir, was ich erkannt habe…
Die getarnte Bettlerin
Aufgrund meiner Erziehung (auch in der Schule) wollte ich immer alles richtig machen – mich richtig verhalten, nicht anecken. Es war mein Wunsch, durch dieses Verhalten Liebe, Lob und Anerkennung zu bekommen.
Ganz schlimm war es für mich, wenn mein Verhalten missbilligt wurde oder ich als Person abgelehnt wurde.
Es war gut, dass mir dies bewusst wurde. Doch was „sollte“ ich tun? Mir wurde nämlich klar, dass ich niemals allen Erwartungen anderer gerecht werden könnte. Und auf eine gewisse Weise war ich ja auch eine „getarnte Bettlerin“. Ich verhielt mich auf eine bestimmte Art und Weise, um geliebt zu werden. Du kannst mir glauben, dies zu erkennen fühlte sich nicht schön an.
Also schüttelte ich mich wie ein nasser Hund. (Dieses innere Bild stelle ich mir immer dann vor, wenn ich ein Verhalten abschütteln möchte.) Ich machte mir bewusst, dass alle Menschen unterschiedlich empfinden und Stimmungsschwankungen haben. Wie sollte es mir gelingen, alles richtig zu machen?
Also wurde mir bewusst, dass ich einen sehr hohen Anspruch an mich hatte. Puh, noch heute fühle ich meine Ratlosigkeit. Ich nahm mir vor, meinen Anspruch an mich zu reduzieren. Ich erlaubte mir, die Dinge so zu tun, wie sie für mich „richtig“ sind.
Das übe ich nun schon einige Jahre, und es gelingt mir gut. Es ist nach wie vor nicht leicht für mich, wenn jemand von mir enttäuscht ist. Doch ich kann das annehmen. Ich schaue mir mein Verhalten genau an, und wenn ich das Empfinden habe, „richtig“ gehandelt zu haben, ist meine Welt in Ordnung.
Den Radius erweitern
Ein weiterer Grund für meine Schuldgefühle war der Wunsch, niemanden zu verletzen. Schaden wollte ich natürlich auch niemandem zufügen. Grundsätzlich ist dieser Vorsatz für ein gesundes Miteinander gut. Doch bei mir führte dieser Vorsatz dazu, dass ich mich immer weiter zurückgezogen habe.
Ich ging kaum noch unter Menschen, achtete peinlich genau darauf, nichts falsch zu machen und redete anderen manchmal nach dem Mund. Als mir diese Facette der Schuldgefühle bewusst wurde, war mir sofort klar, dass ich mit diesem Verhalten niemals glücklich werden würde. Das wollte ich aber! Also ermunterte und ermutigte ich mich immer wieder selbst, meinen Radius wieder zu erweitern. Über drei Monate machte ich jeden Tag etwas, was ich noch nie gemacht habe.
Es waren nicht immer große Taten. Ich kochte etwas Neues, ging zum Einkaufen einen anderen Weg und bügelte z. B. mit der linken Hand. Tag für Tag wurde es leichter für mich. Ich entwickelte Freude am Leben und fühlte mich deutlich freier.
Den inneren Moralapostel in die Schranken weisen
Moralische Werte, die ich noch aus meiner Kindheit kannte, sorgten auch für Schuldgefühle. „Das tut man nicht!“, „Man spielt sich nicht in den Vordergrund!“, „Was sollen die anderen denken?“ – das sind moralische Werte, die ich auf unbewusster Ebene übernommen habe. Sie lassen Spontanität und Gelassenheit kaum zu.
Es war nicht leicht für mich, mich von diesen einengenden Sichtweisen zu befreien. Die Macht der Gewohnheit hat mir einige Male „ein Bein“ gestellt. Inzwischen erkenne ich diesen inneren Moralapostel blitzschnell. Es tut gut, ihn in seine Schranken zu weisen.
Milde schenkt Entspannung
Ich erkannte, wie streng ich mit mir war. Ich war noch strenger als streng. Ich erwartete von mir, dass mir alles perfekt gelingt. War es nicht so, so schimpfte ich mit mir. Ich erlaubte mir keine „Fehler“. Die Strenge führte dazu, dass ich kaum noch Freude empfand, wenn ich etwas machte. Auf mir lastete ein Erfolgsdruck, der kaum zu ertragen war. Ich fühlte mich immer schuldig, wenn mir irgendetwas nicht gelungen ist.
Ich bin sehr dankbar, dass ich inzwischen gelernt habe, milde mit mir zu sein. Ich vertraue mir, dass ich in jedem Moment mein Bestes gebe.
Die strengste Lehrerin
Mein Schwarz-Weiß-Denken hat mir ständig Schuldgefühle „geschenkt“. Mein „enges“ Denken darüber, was richtig oder falsch sei, hat zu einer ständigen Anspannung geführt. Ich beobachtete mit Argusaugen mein Verhalten und auch meine Taten. War etwas nicht richtig oder nicht gut genug, so tauchten schnell Schuldgefühle auf. Allerdings Schuldgefühle, die sich auf aggressive Weise zeigten. Ich beschimpfte mich und bestrafte mich mit Härte. Ich war mir selbst die strengste Lehrerin.
Ich habe gelernt, „weicher“ zu denken. Es macht mir Freude, mich durch andere Sichtweisen bereichern zu lassen. Wenn etwas aus einer Sicht richtig ist, kann eine andere Sicht ein anderes Empfinden schenken.
Hast Du Dich erkannt?
Mit sehr vielen Frauen habe ich über Schuldgefühle und deren Wirkung gesprochen. Es war für mich berührend, zu erleben, wie sie aufgeblüht sind. Sie haben sich durch Schuldgefühle immer weniger beeinflussen lassen.
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Herzlich winke ich Dir zu
Deine Martina
Raphael golden blau
bin zwar keine Frau aber super toll erkannt, mit viel Erfahrung durchlebt und in fliessende Worten gegossen… Sehr schön!
Bingo ????
Ja, da finde ich mich wieder! Toll geschrieben.